Leserfragen

Der rassistische Antisemitismus gewann seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wachsenden politischen Einfluss, und zwar vor allem in Deutschland, Österreich-Ungarn und auch in Osteuropa. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges (1914–1918) wurde in den breiten Schichten dieser Länder der Antisemitismus zur irrationalen Zwangsvorstellung und damit zur Schlüsselerklärung der politischen und sozialen Strukturkrise. Durch die hemmungslose Agitation der Antisemiten gewannen die Menschen jüdischer Herkunft und Tradition Einfluss in bezug auf die Wirtschaft, das Geld, die Kunst und Literatur usw., was von den antisemitischen Kräften als ‹zersetzend› erachtet wurde. Das Ganze stellte in den Augen der Antisemiten alle Formen des Kapitalismus, Liberalismus und Sozialismus nur als verschiedene Ausprägungen einer zielgerichteten, ‹parasitären› jüdischen ‹Unterwanderung› dar. Dieser Antisemitismus war in seiner Gesinnung bereits gewalttätig und führte als fester Bestandteil in der national-sozialistischen Ideologie des Dritten Reiches, eben Deutschland, zu einer ständig sich steigernden Judenverfolgung. Verbunden war das Ganze mit der Ausschaltung der Juden aus dem öffentlichen Leben, was letztlich zur staatlichen Provozierung von Pogromen resp. zu Plünderungen, Verwüstungen an jüdischem Eigentum und zum Mord an den Juden führte, woraus letztendlich die ‹Endlösung der Judenfrage› resultierte, d.h. die Ermordung von etwa 4,5 Millionen Juden und ca. 2 Millionen anderen Menschen, die aus Zigeunern resp. ‹Sinti› und ‹Roma› sowie aus bewusstseinsmässig und körperlich Behinderten (damals als lebensunfähiges und unwürdiges Leben bezeichnet) und aus Kriminellen bestanden. Das Ganze führte zum sogenannten Holocaust, dem rund 6,5 Millionen Menschen zum Opfer fielen – im Zweiten Weltkrieg, der rund 60 Millionen Menschenleben forderte.
Selbst nach dem zweiten Weltkrieg ist der Antisemitismus weltweit als kollektives Urteil noch keineswegs überwunden, denn seit der Nachkriegszeit treiben Neonazis und sonstige rechtsradikale antisemitische Gruppen ihr bösartiges Unwesen, wobei besonders in den Industriestaaten diese Hassgestalten in Erscheinung treten, speziell in Deutschland, in der Schweiz, im Norden Europas und in den USA. Diese Gruppen zerstören sowohl jüdische Friedhöfe als auch andere jüdische Einrichtungen, und zwar nebst dem, dass sie auch jüdische, jedoch auch fremdländische Menschen angreifen, verletzen, zu Krüppeln schlagen oder gar ermorden. Sie stören aber auch handfest friedliche Veranstaltungen und säen rundum Hass gegen alle Menschen, die nicht ihresgleichen sind. Durch den Stalinismus wurde der Antisemitismus in Osteuropa und in der Sowjetunion wiederholt taktisch zu Säuberungen und zur Diskriminierung der Opposition ausgenutzt, und seit 1989–92 ist in den sogenannten postkommunistischen Ländern in erschreckender Weise ein neues Aufkeimen des parteipolitischen Antisemitismus zu verzeichnen. Einen religiösen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlich-diskriminierenden Charakter weist der Antisemitismus in den angelsächsischen Ländern auf. Betrachtet man den Nahostkonflikt resp. den Sechstagekrieg von 1967 in Nahost, dann ist zu erkennen, dass in den islam-arabischen Ländern ein Antisemitismus eigener ideologischer Art entstanden ist, der in einem Kampf der Araber gegen den Zionismus und den Staat Israel gerichtet ist.