WZ-Nr. 161: Punks – die Warzen der Gesellschaft

Es ist mir noch genau in Erinnerung, wie ich vor dem Spiegel stand, in mein junges, glattes, fast hätte ich gesagt unschuldiges Gesicht sah und mir überlegte, wie ich mit der Schere meine geordneten halblangen Haare am besten verunstalten könnte. Ich hatte genug von diesem braven schönen Leben, mit dem ich überhaupt nicht klarkam. Viel der Freundlichkeit der Menschen schien mir geheuchelt und unecht, und aufschürfende Erlebnisse in meiner Schulzeit liessen in mir Wut und Hass keimen, die sich immer mehr gegen alle Führung, Bevormundung, gegen alle Ungerechtigkeit und Ausgrenzung auflehnten.

Das sogenannte Normale schien mir oft nur noch eine Maske, hinter der sich böse Absicht, Missgunst, Unwissenheit, Boshaftigkeit, Intrige und Schlimmeres mehr verbargen und in mir die Ansicht aufkommen liess, dass man auch guten, freundschaftlichen Worten nicht immer trauen kann. Damals fand ich im Leben nirgendwo wirklich Sinnhaftigkeit, und ich wunderte mich oft darüber, wie die Menschen scheinbar glücklich durchs Leben spazierten, ohne auch nur einen blassen Schimmer in sich zu haben, was das ständige Auf und Ab des irdischen Daseins eigentlich soll. Mir jedenfalls war ­überhaupt nicht klar, warum und für wen ich mich jeden Tag in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett quälte, um dann in einer Fabrik-Bäckerei stundenlang an Maschinen immer die gleichen monotonen Arbeiten auszuführen, dabei ständig gegen den einfallenden Schlaf zu kämpfen und immer auf der Hut zu sein, die Finger nicht in irgendwelche Walzen, Stanz- oder Knetmaschinen zu stecken. Die Nacht­arbeit bescherte mir grosse Schlafprobleme, so ich beim Aufwachen oft überhaupt keine Ahnung mehr hatte, welchen Wochentag wir hatten und ob es nun Morgen oder Abend war. Ebenfalls verfiel ich in jener Zeit einer unglücklichen, unerfüllten ‹Liebe›, die zusätzlich meinen Seelenfrieden auffrass und das Fass bald zum Überlaufen bringen sollte.

Zu dieser Zeit schwappte aus England die Punk-Szene aufs europä­ische Festland über und sorgte überall für heisse Köpfe. Waren die Hippies noch irgendwie nett anzusehen und sprachen von Liebe und Frieden, so schienen die Punks in ihrer Aufmachung und in ihrem Getue aus dem Müll selbst zu kommen und stiessen am Anfang auf enorme Ablehnung. Ihr wildes Aussehen und ihre rotzige Musik war Ausdruck schlimmster Disharmonie und totaler Ablehnung gegen gesellschaftliche Normen, was bei nicht wenigen Menschen Angst und Schrecken auslöste. In der Punk-Szene gab es keine Lehrer, keine Zeigefinger, keine Moralprediger, keine Hierarchie, keine Organisa­tion, keine Ideologie und keinen Gott, sondern es war einfach ein ­Zusammenfinden unzufriedener, orientierungsloser, suchender Jugendlicher, die aus allen gesellschaftlichen Schichten stammten und die ihrem Unmut, ihrem Groll, ihrem Argwohn, ihrem Hass, ihrer Wut und ihrer Gestörtheit mehr oder weniger freien Lauf liessen. In der Bevölkerung konnten viele nicht begreifen, warum sich junge Menschen absichtlich dieser aufgesetzten Hässlichkeit hingaben und den Glauben an das Gute, Schöne und an die Zukunft scheinbar verloren hatten. Obwohl die Punkbewegung, bei meinem ersten Kontakt mit ihr, bei mir ebenfalls auf heftigste Ablehnung stiess und mich sehr aufwühlte, wirkte sie letztlich doch anziehend auf mich.