Mutter Teresa

– Bei Krisen auf dem Subkontinent spielt Teresas Orden ohnehin praktisch keine Rolle. In Kapitel 11 vergleicht Chatterjee die ‹Missionarinnen der Nächstenliebe› mit der Ramakrishna-Mission nach verschiedenen Kriterien. So z.B. in der Reaktion auf Krisen und Katastrophen – er zählt 16 Ereignisse der letzten Jahre auf, in allen Fällen hat Ramakrishna Hilfe geleistet, in keinem war Teresas Orden beteiligt. Oftmals war die ‹lebende Heilige› während grosser Katastrophen in ihrer zweiten Wahlheimat, Rom, in den Vereinigten Staaten oder auf internationaler Anti-Abtreibungstour. Selbst ihr spiritueller Berater Edward le Joly, Autor einer der unzählbaren Hagiographien (Anm. FIGU: Hagiographie = Erforschung und Beschreibung von Heiligenleben) über Teresa, bemerkte bereits 1986 in einer Konversation mit einer Schwester, dass Teresa ‹ständig abwesend› sei. Mehrere Versuche von Prinzessin Diana, Teresa in Kalkutta zu treffen, schlugen fehl, weil diese nie dort war – so dass die Treffen schliesslich in Rom und New York stattfanden.
– Während sie ständig darüber jammerte, wie schrecklich es sei, von den Leidenden Kalkuttas entfernt zu sein, muss sie die Stadt, in der Kontrazeptiva und Abtreibung problemlos verfügbar sind, insgeheim gehasst haben – niemals hätte sie dort öffentlich vom Leid des ‹ungeborenen Lebens› reden können, ohne zumindest verbal gelyncht zu werden, wie Chatterjee bemerkt. Einem realen Lynchmord kam sie schon näher, als sie im Dezember 1984 zum Bhopal-Industrieunglück, in dem so viele Menschen umkamen wie in den WTC-Angriffen, nur zu sagen hatte: «Forgive, forgive.» (Vergebt, vergebt.) Weder sie noch ihr Orden spielte bei der Versorgung der Opfer eine nennenswerte Rolle – ausser natürlich in den westlichen Medien, die alle Pressemitteilungen unkritisch wiedergaben.
– Wer nun meint, Anjezë Gonxhe Bojaxhiu sei eine kontroverse Heilige, kennt die Geschichte der katholischen Kirche nicht. Dabei muss man nicht nur auf Heilig- und Seligsprechungen aus jüngerer Zeit schauen, wie z.B. die von Josemaria Escriva, Gründer der ultraorthodoxen Pressure Group ‹Opus Dei›, oder die Segnung von Erzbischof Stepinac von Zagreb, der die kroatischen Ustascha-Faschisten bei der Ermordung von 350 000 Serben unterstützte. Otto von Corvin schrieb im ‹Pfaffenspiegel› 1845 (sehr empfehlenswert darin zu stöbern, in Buchform oder im Internet!) von den ‹lieben, guten Heiligen›, deren Hauptleistung Corvin zufolge in der Unterdrückung ihrer eigenen Wollust mit Hilfe verschiedener Formen der Selbstkasteiung bis hin zur Kastration bestand. Daneben beschäftigten sich die ersten Heiligen vor allem damit, das verhasste Heidentum auszulöschen. Der Heilige Nikolaus von Myra, heutzutage bekannt für sein Coca-Cola-Outfit, zerstörte zahlreiche heidnische Tempel der Heidengöttin Diana – sein Feiertag ist der 6. Dezember, zufälligerweise Dianas Geburtstag. Auch St. Martin zerstörte viele Tempel und hackte nebenbei auch religiös verehrte Bäume um. Und der Heilige Kyril von Alexandrien befahl oder duldete die brutale Ermordung der heidnischen Gelehrten Hypatia 415. So bekannt war Hypatia, dass selbst christliche Gelehrte wie Socrates Scholasticus sie in den höchsten Tönen als schöne, weise, tugendhafte Frau lobten.
Erik Möller