Tand, Tand ist das Gebilde aus Menschenhand ...

1946, nachdem die letzten Deutschen durch die Polen vertrieben waren, zählte die Stadt noch gerade 634 Einwohner!

Innerhalb der Bastion hatte sich vor dem Zweiten Weltkrieg eine sehr schöne Altstadt befunden, in der nicht nur eine Garnison stationiert war, sondern auch Handel betrieben wurde und die über einen grossen Fischerhafen verfügte. Alles in allem eine prosperierende Kleinstadt, deren Zukunftsperspektiven zum Besten standen, als das Unheil ausbrach und seinen bösen Verlauf nahm.
In den Jahren nach dem Krieg – unter polnischer Verwaltung – wurden die Trümmer der Altstadt weitgehend abtransportiert und für den Wiederaufbau Warschaus verwendet. Der verbliebene Rest wurde erst 1967 endgültig dem Erdboden gleichgemacht. Ein Wiederaufbau fand nicht statt. Erst während der 1990er Jahre wurden Strassen und Gebäudereste der Altstadt wieder freigelegt. Ausser den Strassenzügen mit Pflasterabschnitten, Bordsteinkanten und Granit-Gehwegplatten sind von der früheren Bebauung nur noch Eingänge, Grundmauern und Fundamentreste sichtbar. Diverse Treppen führen ins Nichts …
Markante Gebäudereste des Schlosses und der Pfarrkirche sind noch erkennbar. Erhalten sind heute Teile der ehemaligen Festungswerke. Weniges wurde inzwischen restauriert und fachmännisch wiederhergestellt, und an allen Strassen wurden die Strassenschilder wieder aufgestellt, die in deutsch und polnisch beschriftet sind. Ausserdem befinden sich an den ehemaligen markanten Gebäuden Hinweistafeln mit einem Bild des Gebäudes vor seiner Zerstörung.

Als ich mit meiner Kollegin und einem kundigen Führer die Altstadt betrat, tat sich vor mir eine wild überwucherte grüne Landschaft mit hohen Bäumen, Gestrüpp und Efeu auf, die auf den ersten Blick einen sehr romantischen Eindruck machte – und ich glaubte meiner Kollegin aufs Wort, als sie mir erzählte, dass die Altstadt das beliebteste Naherholungsgebiet von Kostrzyn sei und dass sich die Einwohner der heutigen Stadt am Sonntagnachmittag dort jeweils gerne beim Spazierengehen erholen würden …
Dann aber überfiel mich der Bruch im Romantischen – die Pflastersteine, zwischen dem Gras auf den Wegen, die zum Teil noch deutlich erkennbaren Gehsteige, Treppen, die zu Türen führen, die nicht mehr vorhanden sind und Kellerfenster, hinter denen sich Schutt und Erde türmen. Langsam schlich in mir Beklemmung hoch – und irgendwie vermeinte ich, sowohl das blühende Leben vor der Zerstörung als auch das Elend und die Not, die Verzweiflung und die Ausweglosigkeit während der letzten Kämpfe und der letztendlichen Zerstörung der Stadt wahrzunehmen.