Nur noch Tauben am Trafalgar Square

Dann sind alle Pflegemassnahmen zum Erhalt bedrohter Arten nur Kosmetik?
Morris: Angesichts dieser Bedrohung helfen auch alle noch so gut gemeinten Wildschutzmassnahmen nichts. Natürlich müssen auch das Wildern und die Ausbeutung der Wildtiere aufhören, als Stichworte nenne ich nur etwa Elfenbein für den Westen oder Tigerknochen als begehrtes Aphrodisiakum in China. Doch auch durchgreifende Massnahmen hier verblassen vor der Bedrohung durch menschliche Überpopulation.

Wie kann der Überbevölkerung wirksam entgegengetreten werden?
Morris: Um dieses Problem zu bewältigen, ist es in erster Linie notwendig, die Haltung der Menschen zu verändern. Welche Kultur Sie auch immer in der Dritten Welt betrachten, immer haben sie das Problem, dass viele Kinder als Reichtum und Stolz angesehen werden. Einmal sah ich einen Mann weinen, weil er nur zwei Kinder vorweisen konnte und sich damit nicht als Mann definieren konnte. Da half auch nicht, ihm zu versichern, gerade er hätte die richtige Zahl an Kindern. Das ist diesen Leuten auch nicht beizubringen. Wenn irgend etwas funktioniert, dann nur, sie davon zu überzeugen, dass es männlicher ist, zwei Kinder zu haben als acht.

Wie wirkt sich die Überbevölkerung auf die menschliche Population aus?
Morris: In der Tat, sie begünstigt die Anfälligkeit für einen Virus, dem theoretisch grosse Teile der Weltbevölkerung zum Opfer fallen könnten. Denn Überpopulationsstress beeinträchtigt das Immunsystem. Denkbar ist durchaus ein Aussterben von neunzig Prozent der Population. Dann wären wir die Dinosaurier. Ehrlich gesagt, wenn man die Läufe der Natur studiert, ist es erstaunlich, dass das noch nicht passiert ist. Bedenken Sie, wir haben inzwischen schon Städte mit zwanzig Millionen Einwohnern. Die Viren mutieren ständig, irgendwann wird sich darunter auch eine Form finden, die uns verhängnisvoll angreifen kann. Dem gilt es durch Verhinderung menschlicher Überbevölkerung vorzubeugen, sonst werden diese Viren der Zukunft reinen Tisch mit uns machen.

Sie plädieren aber neben einem neuen Bewusstsein gegen Überbevölkerung auch für ein neues Bewusstsein für die Natur?
Morris: Ja, entscheidend ist, das Bewusstsein der Menschen zu verändern. Es muss völlig uninteressant werden, Pelze zu tragen, Elfenbein-Schnitzereien zu kaufen oder obskure Aphrodisiaka zu verlangen. Solange ein Bedürfnis nach diesen Dingen besteht, solange helfen Gesetze nicht wirklich, denn sie werden umgangen werden. Polizeikontrolle ist zweifelsohne unverzichtbar, doch keine Lösung. Notfalls werden Wildhüter und Busch-Polizei selbst liquidiert, um an die heisse Ware zu kommen. Nein, es hilft nur ein Sinneswandel. Verkauft zum Beispiel den Chinesen Viagra, macht ihnen klar, dass Viagra hundertmal wirksamer ist als ihre traditionellen Mittelchen, dann können wir vielleicht die Tiger retten. In den traditionellen Ländern sind Aberglaube und Religion die grössten Feinde der Naturerhaltung. Denn nicht nur stempelt so manche Religion Tiere zu wilden Bestien ohne Seele, sie predigt auch noch den Segen der Fruchtbarkeit und die Ausbreitung des Menschen über die Erde.