Bemerkenswerter Dankbrief

Nie habe ich einen Menschen getroffen, der für mich ein wirkliches Beispiel verkörperte, nach dem ich mich ausrichten und innerlich entfalten konnte. Ganz unbewusst suchte ich nach bewusstseinsmässiger Stärke, Kraft, Tiefe und Grösse, doch allenthalben gab es nur das bewusstseinsmässig Kleine, das Begrenzte und das Weltliche, worin keinerlei Erfüllung und Motivation zu finden war. Ich wollte einen Menschen treffen – einen wirklichen und weisen Lehrer –, der meinen tiefen inneren Drang nach wirklichem Leben zu verstehen und zu bestätigen vermochte, der meine intensiven Regungen – die seit eh und je auf das Philosophische, das Komplexe und Höchste ausgerichtet waren – einfach nur billigen und mich in meinen Bemühungen durch ein gutes Wort und seinen Rat unterstützen würde. Doch ich fand nur Menschen vergangener Epochen, wie z.B. Seneca, der mich mit seinen Briefen an Lucilius zutiefst angesprochen hat. Es kam mir damals vor, als sei ich Lucilius selbst, dem Seneca seine Briefe persönlich gewidmet hatte. Zu diesen grossen Menschen alter Zeiten empfand ich eine sehr persönliche und tiefe Zuneigung und fand Trost in ihren Werken und Gedanken, denn sie sagten mir alle einstimmig, dass meine inneren Beweggründe und Sehnsüchte vollkommen richtig und ein achtungswürdiges Merkmal eines Menschen sind.

Jahrelang habe ich mich falsch, unsystematisch und unglücklich entwickelt, denn ab einem bestimmten Zeitpunkt fand ich in dem mich umgebenden Treiben keinen Sinn und keine Motivation mehr, um irgend etwas zu tun. Weshalb sollte ich denn die Schule absolvieren, wenn sie mich nicht erfüllte und ich in mir ganz genau wusste, dass ich trotz oder gerade wegen dem Schulwissen stagnierte und in meinem Menschsein und meinen inneren Tendenzen völlig missachtet war? Den schulischen Gedankenstoff ohne Motivation und ohne tiefere Zusammenhänge auswendig zu lernen, nur mit dem ‹hehren› Ziel, später einen gutbezahlten Job zu finden, widersprach grundlegend meiner ganzen inneren Haltung – nie und nimmer wollte in der Schule irgend jemand etwas anderes von mir als nur diese Auswendiglernerei. Durch die schulische Herangehensweise fühlte ich mich verkannt und vergewaltigt, was durch das allüberall angewandte Prinzip von ‹Zuckerbrot und Peitsche› noch intensiviert wurde, und das verletzte mich zusätzlich in meiner Würde. All das sowie die Tatsache, dass mich ‹meine› Philosophen in der Richtigkeit meiner Gedanken und Gefühle bestärkten, führte dazu, dass ich die Schule gänzlich boykottierte, was sich in meiner Familie äusserst negativ auswirkte, die zwar meine Intelligenz kannte, mich aber nicht verstehen konnte und meine Vorgehensweise meiner angeblichen Faulheit und anderen Irrealitäten zuschrieb, wodurch ich mich wiederum vollkommen missverstanden, unverstanden und allein auf der ganzen Welt fühlte. Durch alle diese und noch andere Dinge wurde meine Psyche schwer in Mitleidenschaft gezogen, was mich noch vollkommener von meiner Umgebung absonderte.