Wodurch wird ein Mensch zum Amokläufer ...

In Erfurt ist diese Inszenierung des grossen Show-downs jedoch durch die Begegnung mit Rainer Heise unterbrochen worden. Auf einmal stand dem Amokläufer da jemand gegenüber, der nicht in Panik flüchtet, sondern Auge in Auge den Kontakt sucht. Und weil der Täter die Maske abgenommen hat, kann er ihn mit der Autorität des bei den Schülern sehr akzeptierten Lehrers anreden: «Robert …» Damit ist der Bann gebrochen. Das Spiel ist aus. Robert Steinhäuser ist zurück in der Realität. Des Mordens müde, bringt er sich um.

Sein Selbstmord nach dem Amoklauf entspricht dem Grundmuster, das sich bei diesen Taten bisher weltweit gezeigt hat. Amokläufer ähneln damit in ihrem Vorgehen den Selbstmordattentätern, die freilich die Gewalt gegen andere und sich selber in einem Akt zusammenfassen. Und auch bei letzteren dominieren weltweit die Männer – hier zu etwa 98 Prozent.

Bei der Suche nach Erklärungen für die geschlechtsspezifischen Aspekte der Gewalt werden viele Antworten angeboten. So betonen Hirnforscher und Humanbiologen neuerdings, dass hier auch genetische Faktoren eine gewichtige Rolle spielen. Und sie können dafür eindrucksvolle Belege vorweisen. Trotzdem möchte ich im Rahmen dieses Vortrags nicht näher darauf eingehen. Die Erbanlagen sind uns nun einmal vorgegeben. Ich konzentriere mich in der verbleibenden Zeit lieber auf solche Faktoren, die wir beeinflussen können.

Ein Beispiel sind hierfür altbekannte elterliche Verhaltensweisen. So haben Kindergärtnerinnen beobachtet, dass vor allem die Väter und teilweise auch die Mütter auf Tränen ihrer Kinder immer noch unterschiedlich reagieren. Während bei den Mädchen das tröstende Verhalten klar im Vordergrund steht, müssen weinende Jungen offenbar weit häufiger mit Ablehnung und deutlicher Zurechtweisung rechnen – etwa nach dem Motto: «Du bist doch keine Memme oder Heulsuse» oder «Hör auf zu weinen – ein Indianer kennt keinen Schmerz; reiss dich endlich zusammen!» Kindergärtnerinnen und Grundschullehrerinnen berichten ferner, dass viele Jungen auch durch Gleichaltrige dazu angehalten werden, Tränen runterzuschlucken und nach aussen ‹cool› aufzutreten. Und so lernen sie es, sich gegen Gefühle zu panzern und weder eigene Schmerzen noch die anderer an sich heran zu lassen.