Wodurch wird ein Mensch zum Amokläufer ...

Zum Einstieg möchte ich zunächst darlegen, welche biographischen Merkmale Amokläufer aufweisen. Im Vergleich zu ‹normalen Gewalttätern› verfügen sie erheblich häufiger über eine gehobene Ausbildung. Zur Zeit der Tat war allerdings fast jeder zweite arbeitslos. Meist sind sie isolierte Einzelgänger, vertrauen sich kaum anderen Menschen an, sind im Kern Ich-schwach und unsicher. Niederlagen und Kränkungen können sie deshalb nur schwer verkraften. Im Alltag erleben sie sich als ohnmächtig, die Tat dagegen vermittelt ihnen für Augenblicke den Triumph höchster Macht – die Herrschaft über Leben und Tod. Im Hinblick auf die familiäre Sozialisation der Amokläufer sind die zur Verfügung stehenden Angaben oft lückenhaft. Angesichts ihres mit der Tat meist verbundenen eigenen Todes sieht die Justiz keinen Anlass mehr, Ermittlungen zur Persönlichkeit des Täters anzustellen. Eines wird aber doch deutlich: Auch im Hinblick auf die Amokläufer bestätigt sich, was in Studien zur Jugendgewalt generell nachgewiesen werden konnte: Je stärker die Sozialisation junger Menschen von einem Mangel an Liebe und konstanter Zuwendung sowie von innerfamiliärer Gewalt geprägt ist, um so höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Betroffenen später selber Gewalt ausüben.

Die eigene Schwäche kompensieren die Amokläufer sehr oft dadurch, dass sie sich Schusswaffen zulegen, die ihnen das Gefühl von Macht geben und zu denen sie eine geradezu erotische Beziehung entwickeln. ‹Das Gewehr ist die Braut des Amokläufers›, kann man in Abwandlung eines veralteten Militärspruches formulieren. Auf eine Besonderheit der Amokläufer hat ferner Hans-Joachim Neubauer aufmerksam gemacht. Sie inszenieren die Tat wie ein Schauspiel, in dem sie gleichzeitig der Regisseur und der grosse Held sind. Bewusst wird als Tatort der öffentliche Raum gewählt. Man braucht Publikum. Der Akteur selber kostümiert sich. Oft wählt er das kriegerische Outfit des Rambo-Kämpfers oder das Image des schwarz gekleideten, maskierten Rächers. Anscheinend legen sie es darauf an, mit ihrer Tat berühmt zu werden – einmal im Mittelpunkt des Medieninteresses zu stehen. Die Vorstellung davon entschädigt sie offenbar für das Loser-Image, unter dem sie im Alltag leiden.