Brief an Marvin

Im Oktober 2009 besuchten mein Sohn Marvin und ich mit seinem Freund das Center. Ich wollte meine restlichen Arbeitstage ableisten und mich nicht wie im letzten Jahr wegen Zeitknappheit aus der frei willigen Pflicht herauskaufen. So warteten wir die Herbstferien in Niedersachsen/Deutschland ab und fuhren zu den ‹Behütern der Wahrheit›. Die Fahrtzeit für eine Entfernung von der Nordsee zum Hufeisenberg – ungefähr 1000 Km – ist ca. 10 Autostunden, doch wir alle sind bereit, die Unbequemlichkeit auf uns zu nehmen, weil es das Ziel einfach wert ist. Es ist sogar so, dass das Ziel es dermassen wert ist, dass in unserem Inneren während der langen Fahrtzeit gar kein Unbequemlichkeitsgefühl entsteht. So haben sich meine Gedanken von der allerersten Fahrt von «ziemliche Quälfahrt, 10 Stunden durchhalten, das Ziel ist in ferner Sicht» bis zur heutigen Fahrt geändert: «Ich freue mich.»

So viel Spass wir im Center hatten, so interessant war auch die Rückfahrt. Wir passierten gerade die deutsche Grenze und fuhren in Richtung Stuttgart, da machte mein Sohn – er ist 11 Jahre alt und ein toller Bursche – eine Aussage, die mich bis zum Eintreffen in unserem Heim immer wieder beschäftigte und zu der ich hier nun endlich meine Stellungnahme abgeben möchte. Zuerst drehte also mein Sohn seinen Blick vorsichtig zur Rücksitzbank des Fahrzeuges und konnte erkennen, dass sein Freund schlief. Dann sagte er: «Papa, es war wieder wunderschön in der FIGU; ich meine nicht nur den Ort selbst, sondern auch die Menschen, die wir getroffen haben. Sie sind so anders. Nicht so, wie bei uns zu Hause. Jeder versucht, die Arbeit zu sehen, und jeder hilft den anderen, auch ohne dass die anderen um Hilfe bitten müssen. Wenn ich gross bin, möchte ich auch in der FIGU wohnen, auch wenn das bedeutet, dass ich niemals eine Ehefrau haben werde.» Als Vater fehlten mir vollständig die Worte, und ich glaube, ich gab nur eine spärliche Antwort. Bruchstückweise kann ich mich noch an diese Antwort erinnern. Sie war ungefähr so: «Die FIGU (wir nennen das Center und dessen Bewohner immer FIGU) ist wirklich wunderschön. Der Ort selbst und auch die bemerkenswerte Harmonie.» Meine entstehende Sprachlosigkeit wurde durch zwei Gedanken ins Leben gerufen. Der erste Gedanke war, dass Sohnemann anscheinend nicht nur den Ort ‹Center› unter die Lupe genommen hatte, sondern auch die dort anwesenden Mitglieder in ihrem Verhalten analysierte. Das Resultat verglich er dann mit seiner persönlichen Umgebung und Situation. Der zweite Gedanke war, dass mein Sohn meine eigenen Gedanken aussprach. Gedanken, die auch ich schon einmal hatte, denn auch ich erkannte schon einmal das, was nun ausgesprochen wurde. Da ich ihm bis zum heutigen Tage eine ausführliche Erklärung schuldig geblieben bin, möchte ich diese hier und heute nachholen: