In Erinnerung an Premier Tony Blair
Ausserdem hat er wesentliche Stützen der parlamentarischen Demokratie zerstört, individuelle Bürgerrechte beschränkt oder abgeschafft und als Erbschaft eine geschwächte, ideologisch ausgehöhlte Labour-Party hinterlassen. Die ursprüngliche aussenpolitische Hoffnung Blairs, als Pontifex Maximus eine Brücke zwischen den USA und der EU zu schlagen, scheiterte zum Teil an der sturen Inkompetenz und dem Herrschaftsanspruch der Bush-Regierung, zum Teil an der von Blair sicherlich als moralische Blindheit interpretierten Widerspenstigkeit der Europäer. Wenn seine Nachfolger überhaupt auf die Stimme des britischen Volkes hören, werden sie versuchen, auf Abstand zum ‹imperium americanum› zu gehen, ohne sich der EU näher anzuschliessen. Ob eine kohärente Politik unter solchen Vorzeichen überhaupt möglich ist und wie sie aussehen könnte, bleibt dahingestellt. Tony Blair schuf sich seit September 2001 eine moralische Phantasielandschaft, die er zunehmend mit der Wirklichkeit verwechselte. Seine historische Bedeutung besteht darin, dass er der erste britische Politiker war, der seine ganze Politik den Erfordernissen des Scheins untergeordnet hat. Er hat die Möglichkeiten einer systematischen politischen Beherrschung des Informationsflusses klar gesehen und genutzt. Seine positiven politischen Bestrebungen führten zu nichts, aber der Apparat, den er ins Leben rief, hat überraschend gut funktioniert. Die bleibende Lehre, die Politiker nach Blair daraus ziehen werden, ist die Notwendigkeit, selbst so einen Apparat zu besitzen.
Der Amerikaner Raymond Geuss, Jahrgang 1946, lehrte Philosophie in Heidelberg, Chicago, Princeton und Hamburg, war Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin und ist «Reader in Philosophy» an der Universität von Cambridge in England. Auf Deutsch erschien von ihm zuletzt die Studie «Privatheit. Eine Genealogie» (Suhrkamp Verlag)
(Per E-Mail am 29.06.2007 Von: Margrit Edwards me10005 [at] cam [dot] ac [dot] uk An: Achim Wolf) 118 Tenison Road Cambridge CB1 2DW Grossbritannien d. 29. June 2007 Achim Wolf
Sehr geehrter Herr Wolf, Frau Viebrock (Die Zeit) hat Ihre Anfrage über die Möglichkeit einer Wiederveröffentlichung meines Artikels «Lüge als Höhere Wahrheit» an mich weitergeleitet. Als Autor des Artikels verfüge ich, glaube ich, über diese Rechte. Ich bin damit einverstanden, dass Sie den Artikel im Bulletin der FIGU (und auf deren Homepage) jetzt kostenlos veröffentlichen, unter der Bedingung, dass Sie mir ein Freiexemplar des betreffenden Bulletins zukommen lassen. Es freut mich, dass Ihnen der Artikel gefallen hat, mit freundlichen Grüssen, Ihr
Raymond Geuss