Auswirkungen der Kultreligion/en

Nach ca. 6 Jahren Ehe, aus der zwei Jungen hervorgingen, wobei den Kommentaren von Angehörigen und Freunden zufolge das Eheverhältnis sehr glücklich war, erkrankte der Mann und starb nach kurzer schwerer Krankheit, die er latent aus längerer russischer Kriegsgefangenschaft in Sibirien mitgebracht hatte. Gut zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes zog die Witwe mit ihren beiden Kindern – auf Betreiben ihrer Mutter hin – wieder in deren Nähe zurück, also wieder in die eingangs erwähnte streng katholisch geprägte Kleinstadt. Etwa zwei Jahre danach kam eines Tages der ältere der beiden Jungen mittags von der Schule; jedoch öffnete ihm seine Mutter nicht wie üblich die Türe. Daraufhin versuchte er, durch mehrmaliges Hochspringen, durch das geschlossene Küchenfenster der Erdgeschosswohnung einen Blick durch die Gardinen zu erhaschen, was ihm wegen der Höhe des Fenstersimses aber nur sehr unzureichend gelang. Er sah einfach schemenhaft und vage eine an eine Seite des Türrahmens gelehnte Gestalt, aber nichts Klares. Und da er keine Möglichkeit fand, in die Wohnung hineinzugelangen, schwang er sich auf sein Fahrrad, um die Familie eines Onkels – einer der vier Brüder seiner Mutter, der nicht weit entfernt wohnte – zu benachrichtigen. Daraufhin fuhren die Verwandten dorthin und sahen, was geschehen war. Am Nachmittag wurde den beiden Jungen erklärt, ihre Mutter sei an einem Herzschlag gestorben; und es blieb auch bei dieser Erklärung. Die beiden Söhne glaubten arglos dieser Erklärung, obwohl sie anfangs doch hin und wieder Fragen nach der vermeintlichen Herzkrankheit der Mutter stellten, die aber meist mit Floskeln beantwortet wurden, wonach sie das Fragen dann langsam aufgaben.

Elf Jahre später, im Alter von 19 Jahren, erfuhr der ältere der beiden Söhne von seinem Grossvater väterlicherseits dann die Wahrheit darüber, woran seine Mutter wirklich gestorben war: Sie hatte sich das Leben genommen, sich im Türrahmen aufgehängt, weil sie als Witwe unehelich von einem Mann schwanger geworden war, wobei dieses Verhältnis aber verborgen bleiben musste, folglich also auch nach dem Tod der Mutter die Identität des Mannes nicht genannt wurde. Als katholische Witwe wollte sie ihrer kultreligiösen Erziehung zufolge, also aus Gottes- und Glaubenswahn und eben der dazu gehörigen Angst vor Verteufelung, Exkommunion und höllischer Strafe, weder eine Abtreibung durchführen noch als Mutter eines unehelichen Kindes den Schikanen der katholisch beeinflussten Umgebung ausgesetzt sein. Also griff sie in ihrer religiös-zwangsvorstellungsmässig-gotteswahnbedingten abgrundtiefen Verzweiflung und Angst kurzschlussartig zum Strick, um ihrem Leben zu entfliehen. Unter anderem spielte ihr schlechtes Gewissen eine entscheidende Rolle, also ihre Angst vor dem drohenden Verlust der Liebe ihrer Mutter und vor religiös bedingten Schreckensperspektiven, durch die sie auch in die Enge getrieben wurde und die sich dabei in – man könnte sagen – angstvolle Selbstverkleinerung, also Selbsterniedrigung verwandelte. So nahm dann letztendlich alles seinen Lauf und endete in einer Kurzschlusshandlung.