Die Überzeugung ist ein schlimmerer Feind ...

Was besagt dies für die religiösen Diskussionen? Wenn man unterstellt, dass die Mehrheit der Menschen so war und ist wie wir selbst, dann ist dies eine starke Evidenz gegen jede religiöse Überzeugung. Denn wir können davon ausgehen, dass die Menschen vergangener Jahrtausende ihre Überzeugungen mit allem verteidigten, was ihnen zur Verfügung stand (auch mit Schwertern und Kanonen, wie die leidvolle Geschichte beweist), so falsch sie auch gewesen sein mögen. Denn auch falsche Überzeugungen wurden stets bis zum Schluss und darüber hinaus verteidigt. Noch heute gibt es Menschen, die ernsthaft behaupten, die Erde sei 6000–10 000 Jahre alt, und diese Ansicht mit aller Vehemenz vertreten.

Wenn man dieses auch heute zu beobachtende Faktum der Meine-Überzeugung-ist-unbedingt-richtigFraktion entsprechend gewichtet, dann wird man sehen, dass wenn sich eine Überzeugung erst einmal gebildet hatte, alles, was dagegen sprach, geflissentlich ignoriert wurde, während alles, was dafür sprach, hoch gewertet und bei Bedarf eher noch gefälscht wurde (siehe z.B. die vielen Reliquien). Die Wahrheit setzt sich in so einem Prozess der Verfälschung und Verdrehung und der Verteidigung der Überzeugungen ganz bestimmt nicht durch. Die Überzeugungen werden nämlich nicht wie bei der stillen Post mit dem Bemühen weitergegeben, die Ursprungsnachricht zu bewahren, sondern mit dem Anspruch, die eigenen Überzeugungen seien völlig wahr – in so eine Kette kann man am Anfang an Informationen Beliebiges hineinstecken, am Ende kommen in jedem Fall die Überzeugungen der daran Beteiligten zum Vorschein.
Folglich müssen wir alle alten religiösen Überlieferungen mit einer grossen Skepsis betrachten. Unsere Skepsis kann fast nicht gross genug sein. Die Anfangswahrscheinlichkeit spricht zunächst strikt dagegen, dass etwas davon wahr ist. Wahr kann es nur dann sein, wenn es eingehender kritischer Prüfung standhält. In diesem Fall muss man also sagen: Im Zweifel gegen die angeklagte Überzeugung. Wenn wir dann noch sehen, dass die meisten christlichen Überzeugungen fast ausschliesslich auf von Zeugen aus zweiter und dritter Hand überlieferten Überzeugungen bestehen, dann müssen die Beweise, die diese Überzeugungen als wahr bestätigen, schon sehr, sehr stark sein. Welche Beweise? Genau, es gibt keine. Daher hat man das Recht, jede christliche Überzeugung zunächst mal bis zum Beweis des Gegenteils für falsch zu halten. Und da in den letzten 2000 Jahren kaum Beweise auftauchten, ist die Wahrscheinlichkeit, dass dies mal in Zukunft geschehen könnte, als vernachlässigbar gering einzustufen.