Der ‹Elternführerschein› – ein längst überfälliges Instrument
Doch zuvor muss man sich einmal bewusst machen, wo die Ursachen dieser zunehmenden Häufung von Kindstötungen und Kindsmisshandlungen liegen. Die Antwort ist eigentlich ganz einfach. Die Eltern, die zu Tätern an ihren Kindern werden, tun das in den seltensten Fällen, weil sie einen bösartigen Charakter haben. Obwohl es natürlich auch solche gibt, aber die sind laut Kriminalstatistik die absolute Ausnahme. Nein, die Eltern sind einfach mit der Situation, Eltern zu sein und dem ganzen gewaltigen Rattenschwanz an (unter anderem) Verantwortungen, die dieser ‹Job› mit sich bringt, überfordert, weil sie nie gelernt haben, wie sie dem gerecht werden könnten. Wer aber permanent überfordert ist, sich also psychisch im Dauerstress befindet, ohne die geringste Rückzugsmöglichkeit zu haben, um dem wenigstens mal für eine gewisse Zeit entfliehen zu können, dreht irgendwann durch. Das Fatale daran ist, dass die Betroffenen ihren eigenen überforderten Zustand meistens erst dann bemerken, wenn es bereits zu spät ist, da der sich in der Regel schleichend entwickelt.
Jetzt werden einige von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wahrscheinlich einwenden, dass es unsere Eltern und Grosseltern auch nicht leicht hatten, teilweise sogar noch schwieriger. Trotzdem ist es zu deren Zeiten auch nicht massenhaft zu solchen schrecklichen Taten gekommen. Stimmt. Der Grund dafür liegt in unserer heutigen Gesellschaftsstruktur. Früher (wo zwar keineswegs ALLES besser war als heute, aber doch so einiges) wurden Eltern mit der Betreuung ihrer Kinder nicht so allein gelassen wie heute. Früher war es die Regel, dass mindestens 3, manchmal sogar 4 Generationen unter einem Dach lebten. Das war zwar nicht immer optimal und führte oft zu Konflikten und Spannungen, aber es hatte den Vorteil, dass die jungen Eltern mit der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder nie allein waren. Sie konnten den ‹Job› Eltern zu sein direkt von ihren eigenen Eltern und Grosseltern lernen. (Dass auch das nicht immer optimal war, steht auf einem anderen Blatt.) Letztendlich zahlen wir – bzw. die betroffenen Kinder – einen viel zu hohen Preis für unsere diesbezügliche Individualität!
Ausserdem war Gewalt früher ein sehr viel grösseres Tabu als heute, ganz besonders wenn sie sich gegen Schwächere richtete, erst recht gegen Kinder. Durch die Gewaltdarstellungen im Fernsehen ist dieses Tabu immer mehr aufgeweicht worden. Dazu kam in den Sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch die falsch verstandene ‹antiautoritäre Erziehung›, die den Kindern keine Grenzen mehr setzte. Wer aber selbst keine Grenzen kennt und vielleicht zusätzlich noch Gewalt erfahren musste als Kind, der wird diese Gewalt auch später an die eigenen Kinder weitergeben. Aber das ist wieder ein anderer Themenkomplex.
Was sehr vielen heutigen Eltern fehlt – ganz besonders den ‹Tätern› unter ihnen –, ist das ‹Know How›. Erziehung ist ein JOB, ein BERUF, den man erlernen muss und erlernen kann. (Und ein verdammt anspruchsvoller und schwieriger dazu!)