Alte Wunden, Einmischung und üble Fama resp. Gerüchte

Eine derartige Verhaltensweise gleicht in gewisser Weise einem blinden Kultglauben und dem kultreligiösen Prozess der Stagnation, dem Stillstand und der Zurückverbundenheit. Durch eine erzwungene und gewaltsame Verkettung, Verknüpfung und Bindung an das Vergangene wird die gedanklich-gefühlsmässige und psychische sowie bewusstseinsmässige Befindlichkeit der Gegenwart unweigerlich in Mitleidenschaft gezogen. Das vor allem darum, weil die kraftvollen Gedanken nicht in neutral-positiver Art und Weise auf die Gegenwart und Zukunft ausgerichtet werden, sondern mit geballten Kräften alte Verwundungen, Sorgen und Blessuren nähren.
Im OM, Kanon 30, Vers 80 steht geschrieben: ‹Wer da nur das Böse der Vergangenheit sehet, dem begegnet das Böse stetig auf das Neue im Leben des Täglichen; wer aber auch das Gute der Vergangenheit sehet, dem wird das Leben lebenswert und zur Freude.›
Entgegen der Geisteslehre verlangt die moderne Psychologie vom Menschen, sich die Vergangenheit und das Vergangene bewusst zu vergegenwärtigen und alles nach Verletzungen oder psychischen Beeinträchtigungen oder Rissen zu durchforsten. Oft werden längst vergessene und verarbeitete Belange und Geschehnisse wieder aus dem Schlaf erweckt und als schmerzvolle Erinnerungen in die Gegenwart transportiert. Längst geschlossene Wunden, Narben und verheilte Verletzungen werden dadurch erneut immer wieder geöffnet, eine endgültige Heilung wird verhindert und die gegenwärtige Lebenssituation durch Jahrzehnte alte Schmerzen und negative Gedanken belastet. Vielfach wird in therapeutischen Kreisen behauptet, dass alte psychische und bewusstseinsmässige Wunden in der Vergangenheit nicht ohne therapeutische Hilfe verarbeitet werden können, sondern lediglich verdrängt worden seien. Einschneidende Erfahrungen und prägende Erlebnisse der Vergangenheit werden somit zu störenden Faktoren negativer Einmischung und Beeinflussung degradiert und die eigene unbewusste, unterbewusste und bewusste menschliche Verarbeitungsfähigkeit entmündigt.
Durch das blindgläubige Wiederkäuen der Vergangenheit bzw. ihrer Geschehnisse wird einmal mehr die Selbst- und Eigenverantwortung verdrängt und die Selbstbestimmung auf das Vergangene übertragen und abgewälzt. Dadurch schliesst sich wiederum ein Kreis ganz besonderer menschlicher Leidenschaft, so nämlich die Neigung und Gewohnheit, sich der Verantwortung zu entziehen. Findet der Mensch in seinem unmittelbaren Wirkungsfeld keinen Schuldigen in schicksalbestimmender Form, dann werden Götter, esoterische Mächte, vermeintlich engelhafte Kräfte oder die Vergangenheit in ihre Pflicht genommen. Die Vergangenheit oder eben Vergangenes ist als solches nicht bestimmend über das menschliche Leben, sondern lediglich prägend und formend. Jeder Mensch hat die Fähigkeit zur Reflexion resp. zur prüfenden Betrachtung sowie das Recht und die Freiheit, seine Vergangenheit und ihre negativen Geschehen und schmerzvollen Ereignisse zu vergessen und aus der Gegenwart zu lernen. Vielfach wird der Vergangenheit eine vermeintlich unabdingbare Bestimmungsgewalt über die Gegenwart zugesprochen, wodurch der Mensch einmal mehr fremdbestimmungshörig wird.