Leserzuschrift

Der Abu-Ghraib-Skandal ruinierte dieses Spiel; er erzwang die Anklage und Verurteilung einiger armseliger Sadisten niedrigen Ranges. Bauernopfer. Die Verantwortlichen, diejenigen, die die Befehle zur Folter gegeben, angeregt oder mit juristischen Spitzfindigkeiten ermöglicht hatten, wurden nicht nur nicht belangt; sie blieben im Amt oder wurden eklatant befördert, wie Alberto Gonzales, heute Justizminister der Vereinigten Staaten.

Systematisch, verlogen und perfide

Vieles in der von Jane Mayer im ‹New Yorker› veröffentlichten Geschichte war bekannt; doch in ihrer Erzählung wird in erschreckender Weise deutlich, wie systematisch, verlogen und perfide die Vollstrecker des Verteidigungsministers und des Vizepräsidenten sich der Aufgabe widmeten, mit Jahrhunderten Menschenrechtspolitik, militärischer Tradition und militärischem Anstand zu brechen. Der Commander in Chief, Präsident George W. Bush, brauchte sich nicht einzumischen; Cheneys und Rumsfelds Leute erledigten die schmutzige Arbeit für ihn.

Das Aufbäumen des republikanischen Senators John McCain, selbst Vietnamveteran und Folteropfer, sowie anderer Senatsmitglieder hat das Weisse Haus gezwungen, nach zähem Widerstand ein Senatsvotum zu akzeptieren, das die Folter von Gefangenen verbietet. Präsident Bush hat kurz danach feierlich erklärt, dass die USA nicht foltern.

Es hat einen zähen Kampf von Senatoren und Medien erfordert, der jetzigen Administration diese Aussage abzupressen. Sicherlich wird die präsidiale Behauptung ebenso wie die warnenden Beispiele der Abu-Ghraib-Verurteilungen die meisten Folterknechte davon abgeschreckt haben, ihr Geschäft im früheren Ausmass weiter zu betreiben.

Doch der amerikanische Senat hat trotz Ankündigungen einzelner Senatoren bis jetzt darauf verzichtet, eine echte Durchleuchtung der Regierungspolitik zu erzwingen; und die Geschichte und das Verhalten dieser US-Regierung lassen leider kaum Zweifel daran, dass die USA ihre Gefangenen weiter in einer Weise misshandeln, die eine Abkehr von altem militärischen Anstandsverständnis bedeutet, von moderner westlicher Menschenrechtspolitik ganz zu schweigen.

Diese US-Regierung will nicht sagen, dass Misshandlungstechniken wie das Water-Boarding, das Untertauchen Gefangener bis nahe ans Ertrinken, für sie Folter sind; sie will nicht bestätigen, dass es eine mildere Variante der Folter ist, Gefangene zur Befragung stundenlang in schmerzvollen Positionen oder nackt bei extremen Temperaturen verharren zu lassen. Und sie sperrt sich strikt gegen Versuche, Licht in das Dunkel der sogenannten Rendition-Praxis zu bringen, bei der Gefangene an notorische Folterstaaten ausgeliefert werden.

Schein der Normalität