Streit um unsere Vorfahren

oder
Kultreligion und Wissenschaft im Widerspruch!

Tages-Anzeiger vom Freitag, 20. Juli 2001
Gemäss der biblischen Schöpfungslehre wurde der erste Mann ‹Adam› vor rund 5000 Jahren von Gott persönlich in den elysischen Gärten zwischen Euphrat und Tigris erschaffen. Die erste Frau, Eva, aus Adams Rippe ebenfalls. Angeblich machte sich Gott am sechsten Tage seiner kreativen Arbeit in seiner Werkstatt daran, die Menschen zu erschaffen (Bibel 1. Mose, Kap.1, Vers 26 ff.).
So zumindest wurde und wird diese Legende an vielen Schulen noch immer den Kindern im Religionsunterricht als ‹christliche Wahrheit› gelehrt (ein ausführlicher Artikel zu diesem Thema ist in der FIGU-Zeitschrift ‹Stimme der Wassermannzeit› Nr. 102 vom März 1997 unter dem Titel ‹Vom biblischen Schöpfungs-Mythos und dem Unsinn der biblischen Schöpfungsgeschichte oder Erstes Buch Mose, Genesis› von Hans-Georg Lanzendorfer (Konzept) und ‹Billy› Eduard A. Meier (Ausführung) veröffentlicht worden).
In jüngster Vergangenheit ist unter den Wissenschaftlern bezüglich des Themas ‹Erschaffung des Menschen› wieder eine heisse Diskussion entbrannt. Eine Kontroverse, die vermutlich von den Kirchenoberen, Pfarrherren und Priestern mit Argusaugen widerwillig beobachtet und verfolgt wird. Einmal mehr wird nämlich von der Tagespresse berichtet: Forscher haben in Äthiopien ein sechs Millionen Jahre altes Skelett eines Vormenschen gefunden. Nun entbrennt unter den Wissenschaftlern erneut ein Streit über den menschlichen Stammbaum.
Nachdem Forscher aus den USA und Äthiopien das Skelett in der Awash-Region, nordöstlich von Addis Abeba entdeckten, ist das Bild einer geradlinigen Entwicklung zum modernen Menschen unter Druck -geraten. Die Forscher fanden angeblich eine Reihe von Arm- und Beinknochen, einen Unterkiefer mitsamt einigen Zähnen sowie Teile des Schlüsselbeins. Die Forscher um Yohannes Haile-Selas behaupten, den bislang ältesten Vorfahren des Menschen gefunden zu haben und datieren ihn auf ein Alter von rund sechs Millionen Jahren.
Bereits Anfang dieses Jahres verkündete aber auch ein französisch-kenyanisches Team die Entdeckung des sechs Millionen alten «Millennium Man», den sie in den Tugenbergen, 250 Kilometer nordwestlich von Nairobi, gefunden haben wollen. Diese Tatsache widerspricht der eingangs erwähnten biblischen Schöpfungslehre. Die Entscheidung, ob es sich bei dem einen oder anderen knöchernen Findling möglicherweise um Adam handelt, muss dem Papst und seiner Phantasie überlassen werden.
Rein wissenschaftlich gesehen erregen diese Funde wohl kaum grosses Aufsehen unter der Weltbevölkerung. Aus philosophischer und theologisch-religiöser Sicht werfen diese beiden Funde zumindest für den Papst und seine Kirche tiefgreifende Probleme auf. Die zentrale Frage lautet daher schlicht und einfach: Hat sich die Bibel doch geirrt?
«Natürlich nicht, denn die Welträtsel dieser Art liegen im Plane Gottes...!», werden nun die Stimmen der kultgläubigen Christenmenschen lauten. Verständlicherweise, denn ein zugegebener Irrtum der Bibel hätte logischerweise fatale Folgen für die gesamte Christenheit. Erst recht für den päpstlichen Stuhl, dem ohnehin bereits die Beine vom Holzwurm angefressen sind und der bedrohlich wackeln.
«Natürlich schon...!», erhebe ich daher meine Argumentation.