Die Erde wächst

Betroffen von der Hebung scheint ein riesiges Gebiet: Die Westantarktische Halbinsel, die sich wie ein Finger nach Südamerika streckt. Abseits der Stationen, in Regionen grössten Gletscherschwundes, dürfte die Ausbeulung noch weitaus stärker ausfallen, meinen die Forscher.
«Die Hebungen, die wir über mehr als ein Jahrzehnt gemessen haben, würde man eigentlich über Jahrtausende erwarten», erklärt Nield.

Was geht in der Antarktis vor?
Eine Ursache schien leicht gefunden: Von Eislast befreit, hebt sich der Boden wie eine Waage, von der Gewicht genommen wurde. So federn noch heute, 11 000 Jahre nach dem Ende der Eiszeit, Teile Nordeuropas um wenige Millimeter pro Jahr nach oben – Gebiete, die einst unter Gletschern einsanken, wippen hoch.
Doch in der Antarktis gibt es eine weitere Ursache für die akute Schwellung: Es brodelt im Untergrund. Weltweit schmort unter der felsigen Erdoberfläche ab etwa 60 Kilometer Tiefe ein tausend Grad heisses Gestein-Magma-Gemisch, auf dem die Erdplatten an der Oberfläche treiben wie Eisberge im Meer. Verringert sich das Gewicht des Treibguts, schwimmt es auf wie Korken im Wasser.
Und das geschehe derzeit in der Antarktis: Das schwindende Eis sorge dafür, dass die Erdkruste hochfedere – jedoch deutlich schneller als zu erwarten wäre. Ursache scheinen unterirdische Hitzewallungen. Die zähflüssige Gesteinsglut im Erdinneren dränge überraschend stark nach oben, berichten die Forscher – sie hebe den Untergrund. Ihre Berechnungen zeigten erstmals, dass die Strömungen des Erdmantels unter der Antarktis ‹viel schneller› flössen als erwartet. «Dass die Gletscherschmelze sich bis in Hunderte Kilometer Tiefe auswirkt, ist faszinierend», sagt Peter Clark von der Newcastle University, Mitautor der Studie.

Offenbar liege unter dem Eis eine vulkanisch aktive Zone, ein sogenanntes Backarc-Becken – solche Regionen entstehen hinter der Kollisionsfront zweier Erdplatten: Ein Plattencrash setzt die Erdkruste unter Spannung. Wo sie aufreisst, drängen die zähflüssigen Eingeweide der Erde nach oben. Schliesslich läuft Magma aus, wie Blut aus einer Wunde. Die Entdeckung von Vulkanen unter dem Eispanzer der Westantarktis passe zu ihrer Theorie, meinen Nield und ihre Kollegen.

Seit 2002 hat sich die Hebung stetig beschleunigt. Das Ungleichgewicht scheine folglich damals akut geworden zu sein, meint der Geophysiker Bernhard Steinberger vom Helmholtz-Zentrum Potsdam GFZ. Die rasche Hebung lasse sich am ehesten mit der ungewöhnlichen Aufwärtsbewegung der zähflüssigen Region im Erdinneren erklären, der Asthenosphäre, bestätigt der Forscher. «Wenn durch weiteres Abschmelzen des Eises das Ungleichgewicht grösser wird, könnte sich die Hebung sogar weiter beschleunigen», sagt er.
Die Beule wirkt sich auf den gesamten Globus aus. «Die Drehgeschwindigkeit der Erde sollte sich durch Abschmelzen des Eises und Massenverschiebungen im Erdinneren geringfügig verlangsamen», sagt Steinberger. Die Tage werden also um den Bruchteil einer Sekunde länger. Ursache ist der EistänzerinEffekt: Wie eine Eistänzerin, die bei einer Pirouette ihre Arme ausstreckt, dreht sich der Planet mit Beule langsamer.»