Tand, Tand ist das Gebilde aus Menschenhand ...

Zwar hat das Zitat aus Theodor Fontanes Ballade ‹Die Brücke am Tay› einen anderen Hintergrund, aber es passt auch gut zu einem Erlebnis, das ich Mitte September 2012 hatte und das mich sehr beschäftigt – nicht nur im engeren, sondern eben auch im weiteren und übertragenen Sinn.

Mitte September führten mich meine Wege nach Kostrzyn nad Odra in Polen. Die Kleinstadt liegt direkt an der deutschen Grenze und hat heute etwas mehr als 20 000 Einwohner, wie mir meine Kollegin erzählte, mit der ich mich getroffen hatte. Sie zeigte mir einiges für mich Interessantes in der Stadt und auch in der Umgebung. Am Nachmittag dann führte sie mich in die Altstadt von Kostrzyn, in das alte ‹Cüstrin› wie es bis 1928 hiess, als es noch zu Deutschland gehörte. Küstrin liegt auf einer Halbinsel am Zusammenfluss von Warte und Oder und war damit schon sehr früh ein wichtiger strategischer Ort. Eine Besiedelung des Gebietes durch indogermanische Stämme lässt sich bis in die Bronzezeit nachweisen.
Erstmals urkundlich erwähnt wird Küstrin, wie es nach 1928 hiess, im Jahr 1232, und schon wenige Jahre später, nämlich 1249, wurde dort eine Burg gebaut und es erhielt einen Kastellan. Nur 12 Jahre später wird es als Stadt genannt. Der erste Plan für eine Festung in Küstrin stammte von 1535 und wurde nach altitalienischer Art erbaut; von 1557 bis 1568 wurden die Erdwälle durch Backsteinmauern ersetzt. Die abschliessenden Arbeiten dauerten jedoch bis um 1619. Seit damals hatte die Stadt bis ins 20. Jahrhundert hinein eine ständige brandenburgische bzw. preussische bzw. deutsche Garnison. Diese Tradition wurde nur durch die französische Besetzung zwischen 1806 und 1814 unterbrochen. Die Garnison prägte die Stadt seit 1641, als Kurfürst Friedrich Wilhelm das brandenburgisch-preussische Heer ins Leben rief. In den Jahren von 1640 bis 1688 wurde Küstrin dank der Garnison und dessen Lage zu einer der stärksten Festungen der deutschen Staaten ausgebaut.
Küstrin wuchs in seiner wechselvollen Geschichte, die stets von Polen, Brandenburgern und Preussen bestimmt wurde, nie über die Grösse einer Kleinstadt hinaus, obwohl es lange Zeit eine recht grosse Bedeutung als Garnisonsstadt hatte und über einige Jahre hinweg eng verbunden ist mit der Geschichte und dem Geschick Friedrich II. (1712–1786) resp. Friedrich dem Grossen oder dem ‹Alten Fritz›.
Nach dem Ersten Weltkrieg verlor Küstrin seine Bedeutung als Garnisonsstadt. Erst mit der Aufrüstung der Wehrmacht während des Nationalsozialismus wurden wieder Truppenteile in Küstrin stationiert. 1939 wurde die Truppenstärke der Kaiserzeit wieder erreicht und sogar überschritten. Damals zählte der Ort noch 24 000 Einwohner. In der Endphase des Zweiten Weltkriegs wurde die Bevölkerung am 19. Februar 1945 aus den östlichen Stadtteilen evakuiert und die Stadt 130 Jahre nach der Belagerung durch Napoleon wieder zur Festung erklärt. Im Frühjahr 1945 wurde die Bastion mehr als 12 Wochen lang gegen die Rote Armee gehalten. Während der Kämpfe zwischen Wehrmacht und Roter Armee wurde insbesondere die Altstadt zu 90 Prozent zerstört und damit neben Glogau die am schwersten zerstörte Stadt im Osten Deutschlands.