Die Überzeugung ist ein schlimmerer Feind ...
...der Wahrheit als die Lüge
Wenn man eine Zeitlang religiöse Diskussionen verfolgt, dann fällt auf, mit welcher Energie diese Überzeugungen verteidigt werden. Es gibt kein Argument, welches absurd genug wäre, um nicht doch noch die eigene Überzeugung zu bestätigen, und es gibt keine Tatsache und kein Argument, welches gut genug wäre, diese zu widerlegen. Es werden Schichten über Schichten an komplizierten Konstruktionen zur Stützung der eigenen Auffassung übereinander gebaut, und jeder Angriff darauf führt nur zum Aufbau weiterer Stützen, bis das, was darunter liegt, schon fast nicht mehr erkennbar ist. Da werden lieber Wörter und Begriffe umdefiniert, damit man noch den Anschein erweckt, im Recht zu sein. Dem anderen wird eher pauschal unterstellt, das eigene Gedankengebäude nicht verstanden zu haben und nicht verstehen zu wollen (wieso könnte sie oder er es sonst wagen, einen Angriff darauf zu führen?), als dass man die Gegenargumente kritisch analysiert, um ihre Schwachstellen herauszufinden. Meist ist die einzige Schwachstelle eines Gegenarguments bloss die, zu einer anderen Überzeugung zu führen. Selbst verdrehte Logik und falsche Prämissen veranlassen nicht dazu, die eigenen Schlussfolgerungen in Frage zu stellen. Dergleichen beim Diskussionsgegner gefunden, führt gleich zu wildem Triumph. Man selbst benötigt keine Beweise für die eigenen Überzeugungen, aber wehe, der andere kann seine Meinung nicht perfekt begründen und belegen – und kann er es doch, dann werden die Belege gleich mit einem Hagel an ultraskeptischen Argumenten bedacht. Noch die dubiosesten Zeugen bestätigen die eigene Meinung, während die perfekteste Begründung beim Gegenüber nur ein Ausweis seiner Verstocktheit ist – müsste er mit seinem Herzen doch sehen, wie recht man selber hat!
Nicht, dass man rationalen Argumenten nicht zugänglich wäre – solange sie bloss die eigene Überzeugung bestätigen!
Wenn man diese Beobachtung auch mal kritisch gegen sich selbst wendet und gegen die Leute, die dieselbe Meinung verfechten wie man selbst, so wird man feststellen, dass man zwar das, was ich gesagt habe, sehr wohl als Schwäche beim anderen gefunden hat – aber nicht bei sich selbst. Wenn man aber nur einen Funken Ehrlichkeit sich selbst gegenüber bewahrt hat, dann wird man feststellen, dass man nicht frei davon ist.
In der Tat, es gibt keinen Anlass dazu zu vermuten, dass Menschen generell davon freizusprechen wären. Im Gegenteil gilt diese Beobachtung auch für die Menschen der letzten 2000 Jahre.