Hörbücher und ihr Nutzen

Das würde mich zwar erheblich viel mehr Zeit gekostet haben, aber allein das sinnliche Erlebnis, das Buch in Händen zu halten, die Seiten umzublättern, die Lektüre an jedem beliebigen Punkt unterbrechen und den eigenen Gedanken nachhängen und eigene Ideen und Rückschlüsse auf den Text ziehen zu können, macht diesen grösseren Zeitaufwand mehr als wett. Lesen ist auch deshalb ein sinnliches Vergnügen und spricht alle Sinne an, weil man den Text ja nicht nur mit den Augen aufnimmt, sondern innerlich das Gelesene ‹hört›, es nach
dem eigenen Verständnis betont und sich gleichzeitig Gedanken zu jedem einzelnen Wort und Satz macht. Dadurch aber ist die Gewähr, dass sich der Stoff in den Gedanken und im Gedächtnis nachhaltig festsetzen und wirken kann, ungleich viel grösser, als wenn man einen Text bloss hört. Das ist auch dann der Fall, wenn man stärker auditiv begabt ist als visuell. Lesen ist definitiv ein audiovisueller Vorgang, der das Lernen von Inhalten unterstützt und beschleunigt, während nur Hören eine viel schlechtere Verankerung im Gehirn findet, da auch bei geübten Zuhörern mit grosser auditiver Begabung das Gehör auf ‹Durchzug› schaltet, sobald begleitende Gedanken auftreten, die eine andere Richtung nehmen als der gehörte Text, eben weil das bewusste Denken dem bewussten Hören überlegen ist.

Insgesamt war das Ganze ein Experiment, und zwar deshalb, weil uns immer wieder vorgeschlagen wird, einzelne oder alle unsere Werke auch als Hörbücher herauszugeben, damit man eben nicht nur in Ruhe lesen muss, sondern auch unterwegs, z.B. im Auto, zuhören könne, wovon man sich einen besseren Zugang zum Stoff der Geisteslehre verspricht. Bisher haben wir das immer abgelehnt, und zwar mit folgender Begründung: Die Aufnahmefähigkeit für Gehörtes ist oberflächlicher, weniger stark und weniger tief, als bei Gelesenem. Bei der Lektüre gedruckter Bücher passt der Mensch seine Lesegeschwindigkeit automatisch dem eigenen Aufnahmevermögen an, das abhängig ist von der Qualität und vom Anspruch an seine bewusstseinsmässige Kapazität sowie an das Aufmerksamkeits- und Konzentrationsvermögen. Schwere und komplizierte Inhalte werden also langsamer gelesen und auch langsamer aufgenommen als einfache und eher oberflächliche Inhalte, über die man leicht hinweggehen kann und die trotzdem einen gewissen Eindruck hinterlassen. Hinzu kommt, dass die Lektüre eines Textes jederzeit unterbrochen werden kann, wenn man sich einen Satz, einen Teilsatz oder ein Wort genauer überlegen oder sich ausführliche Gedanken dazu machen will. In Büchern und in Lehrtexten kann man sich jederzeit auch Passagen anstreichen oder farbig markieren und man kann sich auf dem Seitenrand von Büchern auch Notizen machen – alles Vorgänge, die das aktive Lernen unterstützen und eine grössere Verankerung im Gehirn resp. im Bewusstsein zulassen, als das bei Hörbüchern der Fall ist, bei denen all diese Möglichkeiten entfallen und deren Text einfach in einem bestimmten Tempo an uns vorbeizieht, ohne dass er sich relevant im Gedächtnis festsetzen kann.