Durchhalten lohnt sich

Solche letzte Gedanken und Gefühle sowie Emotionen und Empfindungen können in späteren Leben sowohl aus den Speicherbänken heraus, wenn sie dort abgerufen werden, als auch im Bewusstseinsblock unverhältnismässig stark wirksam werden und die gesamte Wahrnehmung überschwemmen. Darum ist es äusserst wichtig, dass zum Zeitpunkt des Sterbens nicht nur eine psychisch-bewusstseinsmässig harmonische Ausgeglichenheit gegeben ist, sondern, dass auch die Atmosphäre der Sterbeumgebung friedlich ist. Daher sollte der Mensch für sich selbst sowie für seine Mitmenschen alles in seiner Macht Stehende tun, um positive Gedanken, Gefühle, Emotionen und Empfindungen zu erzeugen, wobei auch Liebe und Mitgefühl von Bedeutung sind. Dies aber sollte nicht erst in letzter Minute vor dem Tode zur Geltung kommen, sondern bereits zu Lebzeiten. All diese Werte sind auch während des Lebens von grösster Wichtigkeit, und während des Sterbens ganz besonders. Und wenn sie schon im Leben gegeben sind und die letzten Stunden und Minuten ins Dasein kommen, dann fällt es leichter, sich vom Greifen und Sehnen nach dem Leben und vom Anhaften an dieses freizumachen.»

Aus dem Leben gegriffen: Kürzlich brachte ich einem 63 jährigen Mann Sauerstoff, da keine Angehörige da waren, die das hätten übernehmen können, wie es sonst üblich ist. Er litt an Krebs im Endstadium und war schon viele Monate krank und auf Hilfe der Spitex angewiesen, die ihn sehr einfühlsam und professionell betreute. In der Wohnung angekommen, traf ich auf eine Spitex-Fachfrau, und da der Notar bei dem Patienten war, hatten wir Gelegenheit, uns zu unterhalten. Sie erzählte mir, dass sie den Mann seit vielen Monaten täglich dreimal besuchten, dass er zwar sehr freundlich und umgänglich sei, aber so verschlossen, dass sie so gut wie nichts von ihm wüssten. Er habe den Wunsch, zu Hause sterben zu dürfen, doch sie hätten ihm klargemacht, dass er, wenn er nicht mehr allein sein könne in der Nacht, ins Krankenhaus bzw. in ein Pflegeheim müsse. Gemeinsam mit der Pflegefachfrau betrat ich das Zimmer und begrüsste einen Mann, abgemagert bis auf die Knochen, atemlos und doch irgendwie Herr der Lage. Anders kann ich es nicht schildern, ich sah ihn und erkannte ihn in seinem Wesen, und dieses Wesen sprach mich an. Er war eigenwillig, stark und unabhängig trotz seiner Unbeweglichkeit und ich wusste, dass ich es wenn immer möglich nicht zulassen wollte, dass er seine letzten Tage noch in der Ungeborgenheit einer fremden Umgebung würde zubringen müssen. Wir blieben in Kontakt, telephonierten regelmässig, und ich besuchte ihn auch häufiger als üblich. Bei meinem letzten Tages-Besuch gab ich ihm meine Handy-Nummer, damit er mich anrufen könne, wenn die Nächte nicht mehr allein zu schaffen seien.