Neue Erkenntnisse zum Wachkoma

Das Recht auf eine persönliche Entscheidungsfreiheit oder die Wahrung einer Intim- und Privatsphäre werden einschneidend tangiert und ihr Schamgefühl unter Umständen durch unsensible und taktlose Handlungsweisen missachtet oder verletzt. Diese Tatsache wird auch im Umgang mit vermeintlich bewusstlosen Menschen offensichtlich. Vielfach wird nämlich die wirkliche Wahrnehmungsmöglichkeit der Wachkomapatienten beiderlei Geschlechts unterschätzt und deren Würde und psychische Befindlichkeit durch unangebrachte, indiskrete und unsensible Bemerkungen und Verhaltensweisen missachtet. Das ist eine Tatsache, die dem Autor – selbst in einem sozialen Beruf tätig – schon mehrfach geschildert wurde.
Es ist ein sehr lehrreiches Experiment, die persönlichen Pflegeverrichtungen während einigen Stunden in die Hand einer Drittperson zu legen, um sich pflegen, füttern und in bezug auf alle möglichen Bereiche des Lebens umsorgen zu lassen. Unweigerlich wird sich in gefühls- und bewusstseinsmässigen Belangen eine sehr aussergewöhnliche und auch schamvolle Erfahrung zeigen. Jede kleinste Einschränkung und Nichtbeachtung der eigenen Bedürfnisse und Anliegen durch fremde Personen wird höchst sensibel registriert und als massive Störung und Missachtung der eigenen Gewohnheiten und Befindlichkeit wahrgenommen. Jede kleinste Nachlässigkeit wird unter Umständen überbewertet. Schnell verbreiten sich schlechte Gefühle der Abhängigkeit, Unfreiheit und Unterordnung.
Der Verlust der eigenen Handlungsfähigkeit oder der Kontrolle über den eigenen Körper führt unweigerlich zu gewissen Ängsten, zu Scham und Schrecken. Der Mensch nimmt unter Umständen eine Haltung der Ablehnung, Zurückweisung und Verteidigung gegenüber den Betreuungspersonen ein. Vor allem dann, wenn er sich dessen gewahr wird, dass fremde Personen mit ihren unvertrauten Ansichten und Abläufen über das eigene Wohlergehen bestimmen, schalten und walten, ohne sich nach den eigentlichen Bedürfnissen oder dem gewohnten Tempo der betreuten Person zu erkundigen oder auf deren Körpersprache zu reagieren. Selbst fundiertes Wissen und grosse Lebenserfahrung sind keine Garantie dafür, persönliche Einschränkungen der Freiheit gelassen hinzunehmen und die nötige Ruhe und Ausgeglichenheit zu bewahren. Aus diesem Grund ist ganz besonders im Umgang mit vermeintlich bewusstlosen oder psychisch beeinträchtigten oder kranken Menschen auf eine gebührende Umgangsform, Ehrfurcht und den nötigen Respekt zu achten. Kein Mensch kann sich eines unbeschwerten Lebens aller Tage gewiss sein. In jeder Minute seines Lebens können ihn Unfälle, Krankheiten, ein Unglück, Schwächen, körperliches Versagen oder sonst Übel aller Art treffen. Spätestens dann wird er sich seiner Freiheit und dem unbeschreibbaren Glück unbehinderter Entscheidungsgewalt bewusst. Diesen Umstand sollte sich der Mensch täglich vor Augen führen, wenn er gleichgültig, anstandslos und anteilslos am Geschick der Mitmenschen vorüber sieht, denn nichts ist so sicher wie die Unsicherheit im eigenen irdischen Leben. Ein kurzes Erdendasein, das in einem im Wachkoma befangenen Körper zu einer furchtsamen und bangen Unendlichkeit werden kann.